Noah—Der Typ, der die Menschheit durch die Erfindung des Weinanbaus rettete

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[German translation by Helge Seekamp of “Noah—the guy who saved humanity by making wine”.]

Hintergründe zu Genesis 1-11

Wenn wir den Anfang der Bibel im Alten Testament lesen, entscheidet sich die Interpretation daran, ob wir aus heutiger traditionell-theologischer Sicht die Texte interpretieren oder ob wir uns in die Lage der spätjüdischen Verfasser versetzen, die für ihre (damalige) jüdische Glaubensgemeinschaft diese Texte komponiert haben.

Die übliche theologische Brille isoliert Genesis 1-3 unter der Überschrift Der grundlegende Bericht über Schöpfung und Fall von seinem Kontext Gen. 1-12. Dadurch wird der Höhepunkt in Kap. 1-3 dahin verschoben, dass es den »Nachkommen« der Frau gibt, der den Kopf der Schlange angreifen wird:

Da sprach Adonaj, also Gott, zur Schlange: »Weil du das getan hast, bist du verflucht – als Einziges von allem Vieh und von allen Tieren des Feldes. Auf deinem Bauch sollst du kriechen und Erde essen dein Leben lang Feindschaft stifte ich zwischen dir und der Frau, zwischen deinem Nachwuchs und ihrem Nachwuchs. Der wird deinen Kopf angreifen, du wirst seine Ferse angreifen.« (3, 14-15)

Mit dieser Lesart wird traditionell dann der abrupte Sprung zu Jesus ins Neue Testament gerechtfertigt, der dann als der Retter der Menschheit auftrifft. Beide Interpretationen sind aber irreführend.

  1. Obwohl es messianische Interpretationen von Genesis 3,15 in palästinischen Targumen (seit 3. Jh. v.Chr.) gibt, berichtet der Text Kap. 3,15 einzig und allein von der Feindschaft zwischen den Abkömmlingen der Schlange und denen der Frau. Lass es einfach dabei. Die »Lösung« für den großen Absturz der Menschheit, die Genesis uns dann bis Kap. 12 zur Verfügung stellt, ist nicht Jesus, sondern Abraham. Der aber wurde weder gerettet noch ist er selbst Retter, sondern er ist der Anfang eines neu erschaffenen Volkes, das „Neue-Kreatur-Volk“ (new creation people), das zwar in den Grenzen des verheißenen Landes Kanaan existiert, dessen Anwesenheit aber auch die umgebenden Völker segnen würde.
  2. Viel wichtiger aber ist der offensichtliche rote Faden der Erzählung zwischen den Ereignissen im Garten und dem, was danach passierte: Kapitel 5 erzählt uns nämlich das »Stammbuch der Generationen seit Adam«. Mit den ersten beiden Versen wiederholt es Kap. 3,1: „Dies ist das Buch der Geschichte der Menschenkinder. Am Tag, als Gott die Menschen schuf, machte sie sie als Abbild Gottes. 2 Männlich und weiblich wurden sie geschaffen. Gott segnete sie und gab ihnen beiden den Namen Adam, Mensch, am Tage, als sie geschaffen wurden.“
  3. Erstaunlicherweise gibt es hier keinen Bezug auf den Exodus aus dem Garten — vielmehr wird Adam einfach als der erste in einer Linie von Nachkommen in die Geschichte eingeführt, die bis zu Noth reicht und dann weitergeht bis hin zu Abraham weit nach der Flut (Genesis 11,27: „Dies ist das Geschlecht Terachs: Terach zeugte Abram, Nahor und Haran; und Haran zeugte Lot“). Diese 10 Kapitel sind alles zusammen eine einzige Story. Damit ist also die ausgekoppelte Fassung der Kapitel 1-3 (die angeblich die Überschrift „Ursprungssünde von Adam und Eva“ trägt), auf die die meisten modernen Theologien fußen, nur unter Verlust der Verbindung zur Restgeschichte möglich. Damit gibt die moderne Theologie aber die wesentlichen ab Kap. 6 erzählten sozial-politischen Dimensionen auf – und die Tatsache, dass die »Lösung«, die dann mit Kapitel 12 eingeführt wird, ebenso eine sozial-politischer Dimension enthält.

Dieser Noah ist einzig dafür bekannt, dass er dem verfluchten Boden etwas abringt, das ein gewisses Maß an Entspannung von der Knochenarbeit auf dem Feld brachte – der gegorene Saft: Wein!

Die Story in Kap. 4 von Kain und Abel ist eine Art Wiederholung der Eden-Story. Gott kann Abel nicht finden. Er fragt Kain: „Was hast du getan?“

„V. 10 Daraufhin Gott: »Was hast du getan? Laut schreit das Blut deines Bruders zu mir vom Acker her. 11 Also: Verflucht bist du, weg vom Acker, der das Blut deines Bruders von deiner Hand geschluckt und aufgenommen hat! 12 Wenn du den Acker weiter bearbeitest, wird er dir seine Kraft nicht mehr geben.»“

Weil Kain in die Position „Verflucht bist du…vom Acker“ geraten ist, wird der Boden (ʾadamahʾ) ihn nicht mehr nähren, „wird er dir seine Kraft nicht mehr geben“. Gewissermaßen vom Boden weg exiliert (verstoßen), wird er ein „Flüchtling und Wanderer auf der Erde“ (4, 14)1. Ohne Zweifel liegt die Betonung auf Vertreibung, Exil und Wanderung, was die historische Erfahrung des biblischen Israel vorwegnimmt.

Kains Verbrechen wiederholt sich dann durch Lamech und dessen Konsequenzen vergrößern sich: V. 23 „Dann sprach Lamech zu seinen Frauen:

Ada und Zilla, hört meine Stimme!
Ihr Frauen Lamechs, vernehmt meinen Spruch:
Einen Mann töte ich für meine Wunde, ein Kind für meine Strieme.
Wenn Kain siebenmal gerächt wird, so Lamech 77 mal. (Gen. 4, 23–24).

Wenn dann die Menschen sich mehren — (Kap 6, 1): „Es geschah nun, als sich die Menschheit zu vermehren begann auf dem Erdboden und ihnen Töchter geboren wurden…“ (gemäß ihrem Schöpfungsauftrag!) — wird diese Art der Bosheit, die durch Kain und Lamech exemplarisch gemacht wurde, zur Epidemie.

V. 11 „Und die Erde verdarb vor dem Angesicht Gottes, indem Gewalt die Erde erfüllte. 12 Da sah Gott die Erde an: Sieh hin, sie ist verdorben….13 Da sprach Gott zu Noah: »Das Ende allen Fleisches ist gekommen – in meinen Augen. Denn die Erde ist seinetwegen voll von Gewalt. Blick her, ich bin dabei, es zusammen mit der Erde zu verderben».“

Seit durch die Forschung der sumerische Flut-Mythos im Gilgamesh- und Atrahasis-Epos entdeckt war und als Vorgänger der Noah-Geschichte wahrgenommen wurde, sollten wir die Noah-Version in Genesis als einen bewußten Korrekturversuch dieses herausragende Ur-Datums vorgeschichtlicher Berichterstattung lesen — eben mit der Brille der jüdischen Schöpfungsvorstellung.

Die Noah-Story entpuppt sich als Akt bewusst kultureller Aneignung, gewissermaßen als Plagiat im Namen des lebendigen Gottes, eine Polemik gegen die schlecht gestimmten, engstirnigen, unzuverlässigen und streitsüchtigen Götter der Babylonier. Die Story ist also keine (Erst-)Offenbarung, sondern Überarbeitung, Protestschrift und damit Geschichtskorrektur.

Genau dieser Mythos einer großen Flut — was immer für Erinnerungen an genaue historisch-antike Ereignisse sie bewahrt haben mag — wurde also umgedeutet, um dem unsäglichen Affront Ausdruck zu geben, den menschliche Gewalt und Ungerechtigkeit dem guten Schöpfergott gegenüber bedeuteten.2

Noah fand Gnade in Gottes Augen, weil er ein »gerechter Mann, untadelig in seiner Generation« war. Er geht mit Gott. Erstaunlicherweise sagt er selbst kein einziges Wort in der ganzen langen Geschichte, nicht jedenfalls bis er in dieser unehrenhaften Szene beschrieben wird, als er betrunken und nackt von seinem jüngsten Sohn entdeckt wurde: Und das war der Fluch gegenüber Hams Nachkommen (Gen. 9:20-27).

Seine einzige Funktion in der ganzen Geschichte ist die, die Befehle Gottes auszuführen, die er mit Roboter ähnlicher Effizienz umsetzt (Gen. 6:22; 7:5, 16). Die Noah-Gestalt ist fast nur eine Art menschlicher Chiffre in dieser äußerst eindrücklichen Story über den Reboot der gesamten Schöpfung.

Als Noah und seine Familie die Arche verlassen, erhalten Sie den gleichen Segen und Auftrag, der der Menschheit schon am Anfang gegeben wurde:

Kap. 9, V. 1 „Da segnete Gott den Noah und seine Familie und sprach zu ihnen: »Seid fruchtbar, vermehrt euch und füllt die Erde ».“

Gott bleibt somit seinem Schöpfungsideal treu.

Das Verbot, Fleisch mit Lebensblut zu essen, ist einfach ein Zeichen dafür, dass von nun an Gott das Leben fordern wird von den Mördern.3

Wer Menschenblut vergießt, deren Blut soll durch Menschen vergossen werden. Denn als Bild Gottes sind die Menschen gemacht. (Gen. 9, 6)

Nie wieder wird Gott aber die Erde als Antwort auf die schreckliche und unstillbare Gewalt der Menschheit zerstören, anstelle dessen setzte er das antike Institut des „lex talionis“ als neuen Bund mit Noah ein, um eindrücklich den Menschen den Grundwert des menschlichen Lebens einzuprägen. Gemeint ist damit die Vergeltung von Gleichem mit Gleichem. In einer Zeit, wo die “Rache” keine Grenzen kannte, ist die Lex talionis eigentlich eine Eindämmung dieser Rache, indem sie zeigt, daß ein Täter seine Tat (höchstens) durch Erleiden des gleichen Übels sühnen muß, das er dem anderen zugefügt hat.

Entgegen der allgemein verbreiteten Ansicht geht es also bei diesem biblischen Gebot der Anfangszeit Israels nicht um Rache sondern vielmehr um Schutz sowohl des Geschädigten als auch des Täters.

In einem sonderbaren Nachwort zu dieser Geschichte wird Noah als der „Mann des Erdbodens“ (ʾish ha-ʾadamah) bezeichnet, der einen Weinberg pflanzt und den Wein herstellt. Dies erinnert an die Art wie der erste Mensch vom „Staub des Erdbodens (ʾadamah)” beauftragt wurde „den Ackerboden (ʾadamah) zu bearbeiten“ (Gen. 2, 5-7), dann aber verflucht durch den Boden (ʾadamah) aufgrund von Adams Ungehorsam (Gen. 3, 17) oder das Wort an Kain: „Wenn du den Boden (ʾadamah) bearbeitest, „wird er dir seine Kraft nicht mehr geben“ (Gen. 4, 12). Und wieder wird der Punkt betont, dass der Auszug aus der Arche auf das trockene Land ein Neubeginn der Menschheit darstellt.

Aber sehr bedeutsam ist dann die Bemerkung in der Genealogie von Genesis 5, dass dieser Noah aus der Erde, die Gott verflucht hat, uns die harte Schufterei mit unseren bloßen Händen versüßen werde: Gen. 5, 28 „Lamech lebte 182 Jahre lang, dann bekam er einen Sohn 29 und gab ihm den Namen Noach, ›Ruhe‹, weil er sagte: »Der wird uns zum Aufatmen bringen von unserer Arbeit und von der Mühsal unserer Hände auf dem Ackerboden, den Adonaj verflucht hat«.

Merkwürdigerweise gibt es hier keinen Bezug zur Flut oder zum Bau der Arche. Dieser Noah ist einzig dafür berühmt, dass er aus dem verfluchten Erdboden etwas hervorbrachte, das Erleichterungen von der harten Schufterei der Bauernexistenz brachte: nämlich Alkohol, den Wein.

Die Nachkommen von Noah vermehren sich und fangen an die Erde zu füllen, aber einige von ihnen wandern gen Osten und siedeln im Land Shinar und bauen dort eine „Stadt und einen Turm mit seiner Spitze bis in den Himmel“ (Gen. 11). Die Stadt bekam den Namen Babel; es ist das Proto-Babylon, der Anfang aller Empires, die die Geschichte von Isabel bis direkt in die Zeit des Neuen Testamentes überschatten sollten.

Abraham wird aus diesem unterdrückerischen Schatten herausgerufen, um das „Neu-Schöpfungs-Volk“ zu sein, das Gott segnen wird, das sich fruchtbar mehrt in dem Land, dass Gott ihm geben wird (Gen. 12:2; 17:2; 22:17; 26:4). Wieder bleibt Gott seinem Schöpfungsideal treu – diesmal nur im Mikrokosmos-Bereich des Landes Kanaan (die ganze Welt wird auf dieses Land fokussiert, darum ist die Landgabe entscheidendes Thema für die Theologie).

Biblische Geschichte spitzt sich dann zu mit der Unterwerfung von „Babylon der Großen“, das spätere heidnische Rom, über das die Herrschaft Christi eingesetzt wird als der Messias-Herr über dem Empire.

In der Post-Christentumszeit ist dann die Bedeutung des eschatologischen (endzeitlichen) Sieges Christi über heidnische Völker und das Bekenntnis zu ihm als „Herr der Nationen“ für uns verloren gegangen. So könnte die Geschichte über die Noah-Flut uns helfen, die größeren globalen Themen von Ungerechtigkeit und Gewalt im Hinterkopf zu behalten, die Zerbrechlichkeit der Schöpfungsordnung sowie auch die dauerhafte, zuverlässige innerweltliche Wirklichkeit und Treue des Schöpfers.

Wie im Neuen Testament auf Noah Bezug genommen wird

[Translation adapted from “Rocking the boat: Noah in narrative-historical perspective”]

Noah spielt zwar keine prominente Rolle in meiner narrativ-historischen Lesart der Schriften, wahrscheinlich weil er dem Bund mit Abraham und Israel vorausgeht. Aber verdient die Originalstory nicht ihr ganz eigenes Recht? Sie fasziniert nämlich auf alle möglichen Weisen. Auf narrativer Ebene tendiere ich aber mehr dazu, das „neue Schöpfungs-Motiv“ hervorzuheben: Noah und seine Familie werden gesegnet und sollen fruchtbar sein und sich vermehren, um die Erde zu füllen. Seine Nachkommen konstruieren stattdessen den Turm von Babel, um sich selbst einen Namen zu machen. Dann, nach diesem Punkt eines ausführlichen Berichtes menschlicher Reputation durch den Schöpfer – und nicht früher – wird Abraham als der Vater einer großen Nationen eingeführt. Das Volk Gottes ist berufen, die göttliche Neu-Schöpfung gewissermaßen im Mikrokosmos und im Schatten der Empires zu sein.

Anderswo im Alten Testament wird Noah als der Archetyp des gerechten Juden beschrieben, der gerettet wird selbst wenn Israel als Nation Zerstörung erlebt (Hesekiel 14,14 14,20). Und der Prophet Jesaja bezieht sich auf ihn im Blick auf die Wiederherstellung Israels, indem Jesaja dem Gericht des Exils die Verheißung Gottes an Noah folgen lässt, er werde nie wieder die Erde mit einer Flut zerstören. Jes. 54, V. 9: „Wie bei der Noachflut ist das für mich, als ich geschworen habe:

»Nie mehr sollen die Wasser Noachs die Erde überfluten!«

So habe ich geschworen, nie mehr über dich in Zorn zu geraten und dich zu bedrohen.

10 Denn Berge mögen wohl weichen und Hügel wanken, aber meine Treue wird nicht von dir weichen und mein Friedensbund nicht wanken, spricht Gott voll tiefer Liebe.“

Diese prophetische Typologie wird bis ins Neue Testament überliefert. Die Geschichte wird angedeutet in 3-4 Stellen, um den Gedanken Ausdruck zu geben, dass wenn das Chaos über Israel hereinbricht, die wenigen, die sich als richtig (gerecht) erweisen durch ihren tugendhaften Glauben, gerettet werden.

  1. Die Wiederkunft (Parousie) des Menschensohnes „in den Wolken des Himmels mit Macht und großer Herrlichkeit“ wird sich am Höhepunkt einer Ereigniskette ereignen, die wiederum eine Angelegenheit „großer Trübsal“ für die Jünger Jesu sein wird. Innerhalb einer Generation wird dies passieren und die Jünger werden fähig sein, die Hinweiszeichen auf das nahe Ende zu lesen, aber dieses selbst kann Jesus nicht beziffern, aber doch präziser über das Timing berichten: er kennt zwar nicht „Tag und Stunde“. Aber das Kommen des Menschensohnes wird ähnlich wie die Tage von Noah sein – hier wieder ein Echo von Jesaja 54, 9: Menschen führten ihr normales Alltagsleben, „aßen und tranken, heirateten und verheirateten ihre Kinder“ (Matt. 34, 38), bis es zu spät war: Noah und seine Familie stiegen in die Arche, die er in großer Voraussicht gebaut hatte, die Flut kam, und die Menschheit wurde hinweg geschwemmt. So wird es sein, wenn das Gericht Gottes über Israel kommen wird. Einige werden in der Katastrophe ausgelöscht, andere werden überleben – solche „Zurückgebliebenen“ (left behind) sind die „Glücklichen“ (Matt. 24:40-41).

Hier handelt es sich nicht um den Glauben des einzelnen Christen, der hofft in den Himmel zu kommen. Es geht um den Glauben der jüdisch-christlichen Gemeinde des ersten Jahrhunderts, die selbst hofft Anteil an einer glücklichen Zukunft von Gottes Volk im kommenden Zeitalter zu bekommen.

  1. Im Hebräerbrief 11, V. 7 wird Noah als ein Ur-Beispiel der „Gerechtigkeit, die durch Glauben kommt“ vorgestellt. Wir dürfen nicht die Tatsache übersehen, dass hier eine Anspielung an Habakuk 2, Vers 4 (einige Verse vorher zitiert in Hebr. 10,39) vorliegt. Der Glaube, der so breit illustriert in dem berühmten Kapitel 11 dargestellt wird, ist der Glaube, durch welchen die gerechte Person eine eschatologische Krise überlebt. Der gesamte Brief ist eine Ermahnung an die Gemeinde der jüdischen Gläubigen, auszuharren angesichts von Verfolgung oder angesichts der Enttäuschung, darüber dass doch Gott bald ein unerschütterliches Königstum etablieren sollte — aber es nicht kam (cf. Heb. 12:26-28).

    Es handelt sich nicht um den Glauben des einzelnen Christen, der hofft, in den Himmel zu kommen. Es ist der Glaube der jüdisch-christlichen Gemeinschaft derer, die hoffen, Teil der Zukunft von Gottes Volk im kommenden Zeitalter (der erwarteten neuen Epoche der Menschheit) zu werden. Noah war gerecht, weil er sein ganzes Vertrauen in Gottes Zukunft setzte —das meint Rechtfertigung durch Glauben. Paulus argumentiert im Römerbrief sicherlich ein bisschen anders — dazu später mehr.
     
  2. An anderer Stelle — wenn Petrus von Jesus sagt, dass er zu den „Geistern“ im Gefängnis ging, um ihnen (1. Petr. 3, 19-20) zu verkünden:

    „Mit dieser Kraft ist er zu den eingesperrten Geistern ins Gefängnis gegangen und hat ihnen verkündet, 20 denen, die einst ungehorsam waren. Das war damals in den Tagen des Noach, als Gott geduldig wartete, solange die Arche gebaut wurde. Wenige wurden in ihr gerettet, acht Menschen fanden Schutz vor dem Wasser.“ — hier habe ich argumentiert, dass Petrus sich hier auf die Predigt Jesu vor den Juden und zwar vor seiner Auferstehung bezieht. Er vergleicht die Periode des öffentlichen Dienstes Jesu mit der Vorbereitung des Gefäßes durch welches eine kleine Zahl gerettet würde: Noah und seine Familie wurden durch die Arche gerettet; die jüdischen Christen an die Petrus schreibt, werden von dem kommenden Gericht durch die Taufe gerettet, die der Flut entspricht, aber jetzt (1. Petr. 3,21) durch die „Auferstehung Jesu Christi“:

    „Dieses Wasser ist ein Gegenbild. Jetzt rettet euch das Wasser, nämlich die Taufe. Sie bedeutet nicht, dass der Schmutz des irdischen Lebens abgewaschen wird, sondern ihre Bedeutung ist es, Gott um ein gutes Gewissen und um Hoffnung zu bitten. Das wird euch durch die Auferstehung Jesu Christi möglich.“
     
  3. Schließlich wird die Idee, die nur die echte theologische Gerechtigkeit vorwegnimmt, im zweiten Petrusbrief 2,4-9 belegt4: „Und Gott verschonte die frühere Welt nicht, sondern es wurden – Noach eingerechnet –, nur acht Menschen bewahrt, als die Sintflut über die Welt der gottlosen Menschen kam.“ Darum „und genauso kennt Gott die Menschen, die im Gottvertrauen leben, und rettet sie aus unerträglichen Situationen, die ihr als eine Bewährungsprobe zu verstehen habt. Aber auch die ungerechten Menschen kennt Gott. Sie werden bestraft, ihnen ist der Tag des Urteils vorbehalten.“ Die intensive apokalyptische Sprache des Briefes lässt einige zwar vermuten, dass ein universales Gericht in den Blick kommt, statt das von Israel allein – aber ich bin mir da nicht so sicher. Gewiss haben wir es auf jeden Fall mit einem drohenden Ereignis zu tun, selbst wenn Petrus bestimmte Einschränkungen über das Ausbleiben des „Tags des Gerichtes und der Zerstörung des Ungöttlichen“ (3, 7-10) macht5.

Zusammenfassend möchte ich vermuten, dass wir wahrscheinlich Opfer zu vieler Kindergottesdienstgeschichten und zu vieler archäologischer Fantasien geworden sind — gerade ist wahrscheinlich wieder ein amerikanisches Team dabei, im Eis des Gipfels von Ararat zu graben, während ich hier schreibe — um die Noah-Gestalt ernsthaft als einen eschatologischen Archetyp wahrzunehmen. Aber gerade er bringt wie keine andere alttestamentliche Figur die miteinander verwobenen Themen eschatologische Gerechtigkeit und Neu-Schöpfung zusammen. Und vielleicht könnte man noch mehr aus seiner universalen Botschaft machen. Nach dem Koran kam nämlich die Arche am Ende am Berg Judi an. Die Nuhun Gemisi-Seite ist dem Berg nahe, der als Cudi Dağı in türkisch oder Jabal Judi in Arabisch bekannt ist. Ein weiterer Zusammenfall.

Mein Hauptinteresse ist also die narrative Funktion von Noah. Sie unterstreicht den Punkt, dass das Volk des Schöpfergottes nicht eine Reaktion auf die individuelle Sünde von Adam und Eva, sondern auf den Fall der Menschheits-Gesellschaft als politische Gemeinschaft. Ja, ich glaube nicht wörtlich an die globale Flut.

Warum zum Beispiel sind wohl all die Beuteltiere nach Australien ausgewandert? Es scheint mir mehr wahrscheinlich zu sein, dass die Noah-Geschichte eine Art Erinnerung an eher regional begrenzte Flutkatastrophen darstellt, die sicher auch gewaltige Verheerungen mit sich brachten.

  1. 14Doch schau, du vertreibst mich heute vom Antlitz des Ackers, und auch vor deinem Antlitz muss ich mich verbergen und soll heimatlos und ruhelos auf der Erde sein – dann kann jeder mich töten, der mich findet.« ↩︎
  2. Die genaue Gegenüberstellung und Ähnlichkeit der verschiedenen Flut-Geschichten stellt Peter Enns genau dar. https://biologos.org/blogs/archive/gilgamesh-atrahasis-and-the-flood/ ↩︎
  3. 4Doch °Fleisch mit seiner °Lebenskraft, seinem Blut, sollt ihr nicht essen.

    5Euer Blut aber, jedes eurer °Leben, werde ich zurückfordern, aus der Gewalt jedes Tieres werde ich es zurückfordern. Und aus der Gewalt der Menschen – aus der männlichen Gewalt des Bruders – werde ich das Leben jedes Menschen zurückfordern.

    6Wer Menschenblut vergießt,

    deren Blut soll durch Menschen vergossen werden.

    Denn als Bild Gottes sind die Menschen gemacht. (9, 5-7)

  4. 4Denn Gott verschonte nicht einmal die °Engel, die gegen Gottes Anweisungen verstoßen hatten, sondern warf sie in die finstersten Höhlen der Unterwelt und sorgte dafür, dass sie dort bis zum Urteil festgehalten werden. 5Und Gott verschonte die frühere Welt nicht, sondern es wurden – Noach eingerechnet –, nur acht Menschen bewahrt, als die Sintflut über die Welt der gottlosen Menschen kam. Noach hatte verkündet, °was Gott will. 6Und Gott verurteilte die Städte Sodom und Gomorra und zerstörte sie im Feuer, um denen ein Beispiel zu geben, die noch zukünftig gottlos leben würden. 7Und Gott rettete nur Lot, den °Gerechten, den der zügellose Lebenswandel der gottlosen Bevölkerung quälte, 8all das, was er sehen und hören musste, als er unter diesen Menschen lebte, die °gesetzlosen Taten, all das quälte ihn, den gerechten °Menschen, Tag für Tag, 9und genauso kennt °Gott die Menschen, die im Gottvertrauen leben, und rettet sie aus unerträglichen Situationen, die ihr als eine Bewährungsprobe zu verstehen habt. Aber auch die ungerechten Menschen kennt Gott. Sie werden bestraft, ihnen ist der Tag des Urteils vorbehalten. ↩︎
  5. 9°Gott zögert die Erfüllung der Verheißung nicht hinaus. Das behaupten einige und sagen, es sei eine Verzögerung. Vielmehr wartet Gott geduldig auf euch: kein Mensch soll zugrunde gehen, sondern alle sollen den Schritt wagen und °Buße tun.

    10Der Tag °Gottes aber wird kommen wie ein Dieb.